Leseprobe

Nach kurzer Fahrt durch kleine Nebenstraßen erreichten wir in einem Vorort von Tripolis ein weiteres Gefängnis namens Atosha.
In einem großen Hof umgeben von hohen Häusern stiegen wir aus. In den Häusern gab es große Säle mit vielen, sehr schmutzigen Matratzen, die in langen Reihen lagen, nur ein fußbreit Platz dazwischen. Genug Platz zum Ausstrecken hatten wir nicht. In unserem Saal gab es mehr als 150 Männer aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern, die meisten aus Eritrea und Somalia. Zu essen gab es wieder zu Matsch gekochte Pasta mit etwas Soße. Jeder bekam zwei Kellen voll – viel zu wenig zum Sattwerden. Wenn das Essen kam, liefen alle schnell zur sonst geschlossenen Tür. Alle waren sehr hungrig und drängten nach vorn. Wer ganz vorne stand, wurde von den Soldaten beschimpft und geschlagen. Wir mussten in einer Reihe anstehen, es dauerte sehr lange, bis das Essen verteilt war. Immer wenn der Boss vorbeikam, hatten wir ihn militärisch zu grüßen: strammstehen, Hand an die Schläfe, und etwas auf Arabisch sagen, ich habe aber vergessen, was das war. 

Merhawi Fsehaye

Merhawi kommt als zweites Kind einer siebenköpfigen Familie in Eritrea zur Welt. Sein Vater ist beim Militär und seine Mutter führt zuhause unter Mithilfe der Kinder Betrieb und Landwirtschaft. Merhawi ging bis zur achten Klasse zur Schule, durfte diese aber nach einem wegen der Arbeit im elterlichen Betrieb verpassten Anmeldetermin nicht weiter besuchen. Um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden, verließ er mit 15 Jahren heimlich und ohne Absprache mit der Familie sein Elternhaus und floh aus seinem Heimatland Eritrea. 


Ulla Grün

Ulla Grün bot den Rahmen für die Aufarbeitung von Merhawis Fluchtgeschichte, hörte zu, fragte nach und schrieb auf. Merhawi lernte Ulla als Vormund eines seiner Mitbewohner in einem Heim für minderjährige Geflüchtete kennen und bat sie später um Hilfe beim Verfassen seines Buches.